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Beate Sprenger

KARIKATUR UND UTOPIE ALS WEG DER KREATIVEN NEUSCHOEPFUNG
Vonbanks installative Arbeiten zu Religion und Migration

Ab dem Jahr 2005 greift Michael Vonbank in seinem kuenstlerischen Schaffen zunehmend gesellschaftliche Themen auf. In Rauminstallationen, Videos, Audiofiles, Fotos, Fotocollagen und einer Plakatserie widmet er sich Fragen der "Migration" und "Religion".

Die Rauminstallation "Kreuz verspeisen" entstand Anfang 2006. Die im Herbst 2005 von einer daenischen Tageszeitung veroeffentlichten Mohammed-Karikaturen und der damit neu entfachte Kulturkampf zwischen dem christlichen und dem isamlischen Kulturkreis waren fuer Michael Vonbank Anstoss, sich der eigenen christlich-katholischen Religion in einer karikaturesken Auseinandersetzung zu naehern. Die Installation besteht aus einem durch und durch mit Wandzeichnungen, Aphorismen und Texten ausgemalten Raum sowie aus Toncollagen und einer Videoarbeit. In den Wandzeichnungen nimmt Vonbank bestehende Glaubensinhalte auseinander und setzt sie neu zusammen. Er wuerzt Symbole des Katholizismus mit erotischen Konnotationen, verfremdet sie dadurch und laedt sie mit neuem emotionalem Sinngehalt auf. In der Bild-Text-Kommunikation entfalten Aussagen wie "Kreuz Verspeisung", "Ich steh aufs Kreuz" oder "Vater und Klein Unser" ihren karikaturesken Mehrwert. Den Sinngehalt des Gebets "Vater Unser" deutet Vonbank voellig um und verkehrt ihn ins Gegenteil ("und keine Versuchung ist uns zu stark, um uns vom Boesen zu erloesen"). Im Video und in den Toncollagen zur Rauminstallation "Kreuz verspeisen" spuert Vonbank religioesen Ritualen nach und stellt den katholischen Glaubenssaetzen und Aphorismen seine eigenen Glaubenssaetze gegenueber. Die karikatureske Auseinandersetzung wird damit zum Prozess der kreativen Neuschoepfung.

In der Rauminstallation "Sweet Dreams" aus dem Jahr 2005 geht es um den religioesen und gesellschaftlichen Konflikt zwischen christlicher und islamischer Kultur und seiner Ueberwindung. Die Rauminstallation besteht aus einem fensterlosen, durch und durch mit Wandzeichnungen und Wandtexten ausgeschmueckten Raum, aus vier menschengrossen Puppen und Toncollagen. Die dichten Wandzeichnungen zeigen biographische und surreale Inhalte und Texte. Die menschengrossen Puppen, jeweils ein Paar aus dem westlich-christlichen und aus dem oestlich-mohammedanischen Kulturkreis, liegen in der Mitte des Raumes und schlafen. Die Toncollagen werden abwechselnd von zwei Frauen und zwei Maennerstimmen gesprochen und wiederholen im monotonen Endlosdialog die Texte an der Wand. Es entsteht eine hypnotisierende, magische Atmosphaere, die die Besucher suggestiv in ihren Bann zieht und in die Welt des Traums eintauchen laesst.

Im Jahr 2006 hat Michael Vonbank die Installation "Sweet Dreams" noch einmal voellig neu konzipiert. Die Wand der neuen, nach vorne hin offenen Rauminstallation wurde ueber und ueber mit surrealen Zeichnungen und Texten in blauer, roter und schwarzer Farbe bemalt. In der Mitte liegen die menschengrossen Puppen - jeweils ein Paar aus dem westlich-christlichen und aus dem oestlich-mohammedanischen Kulturkreis - und schlafen. Die Ueberwindung des Konflikts der beiden Kulturen scheint zwar im Traum, auf der Ebene des Unbewussten moeglich, die Loesung des gesellschaftlichen und religioesen Konflikts der beiden Kulturen bleibt jedoch Utopie.

"Somewhere in Europe"ist der Titel einer Werkgruppe, die Michael Vonbank in den Jahren 2007 und 2008 geschaffen hat. Sie besteht aus einer Serie von Fotos und Fotocollagen und einer sechsteiligen Videoserie, die als Installation konzipiert ist und im Maerz 2008 im Museum fuer angewandte Kunst in Wien uraufgefuehrt wurde. In "Somewhere in Europe" geht es um Migration in Europa. In der Videoserie bilden Alltagsszenen aus Migrantenvierteln den szenischen Hintergrund, im Vordergrund steht die "Stimme des Volkes". Die Videoserie reflektiert das Meinungsspektrum der Bevoelkerung zum brandaktuellen Thema "Migration". Schauplatz der Videoserie ist Wien, "Somewhere in Europe" koennte jedoch ueberall in Europa spielen. Die Szenerie der Migrantenviertel und das in den Interviews vertretene Meinungsspektrum der Mehrheitsbevoelkerung, die Inhalte der "Stimme des Volkes" also, sind national und regional austauschbar. Drei der in der Videoserie interviewten Gespraechspartner sind real, zwei weitere sind fiktiv. Hinter Masken versteckt offenbaren die beiden fiktiven Gespraechspartner gemaessigte oder direkte Auslaenderfeindlichkeit, wie auch Teile der Bevoelkerung. Die maskierten Sprecher vertreten also die "Stimme des Volkes", die sich selten laut aeussert. Da alle Interviews auf Englisch gefuehrt, aber nicht immer in sprachlich korrektem Englisch gehalten sind, wurden die Interviews untertitelt: in korrektem Englisch. Durch die Untertitel verschieben sich die unsichtbaren Grenzen, die interviewten Inlaender werden ploetzlich in einen groesseren, globalen Zusammenhang gestellt und dadurch zu Fremden in ihrem eigenen Land.

Die Fotoserie "Wir Wiener in Wien" aus dem Jahr 2009 ist als Plakatserie konzipiert. In der Serie portraitiert Vonbank in Wien lebende Migranten in ihrem beruflichen Umfeld und spannt dabei den Bogen vom Gemuese- und Zeitungsverkaeufer über den Taxifahrer, Fiaker und Schrammelmusiker bis hin zum Orchestermusiker und Fussballer. Damit rueckt er nicht nur deren Beitrag am oekonomischen Erfolg unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt, sondern zeigt auch die grosse Spannbreite ihrer beruflichen Taetigkeiten sowie ihre teilweise enge Verbundenheit mit der Wiener Identitaet und Tradition (wie z.B. beim Fiaker oder Schrammelmusiker). Der Plakat-Slogan "Wir Wiener in Wien" bildet die thematische Klammer der Plakatserie, die optische Klammer ist der Kuenstler selbst. Michael Vonbank leiht auf den Plakaten Wiener Migranten sein Gesicht und verkoerpert somit exemplarisch alle Wiener mit Migrationshintergrund. Dadurch spielt er mit an Aeusserlichkeiten festgemachten nationalen Identitaetszuschreibungen, bricht ihre Muster auf und fuehrt sie spielerisch ad absurdum.

Dieser Text ist erschienen im Katalog "Michael Vonbank. Daemonentheater. Arbeiten 1986 - 2015. Ein Ueberblick". Herausgegeben von Beate Sprenger mit Texten von Christian Ludwig Attersee, Daniela Gregori, Lucas Gehrmann, Anton Herzl, Margareta Sandhofer, Beate Sprenger, Florian Steininger, Michael Vonbank und Vitus Weh. Verlag fuer moderne Kunst, Wien 2022, ISBN: 978-3-9035-7269-9

 
 
 
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